Vom Leben in einem Mindfulness Recovery Zentrum: Die New Life Foundation

Als ich nach Thailand aufgebrochen bin, wollte ich nicht nur Reisen, sondern hatte ein ganz bestimmtes Ziel: Ich wollte für sechs Wochen in einem Mindfulness Recovery Zentrum im Norden des Landes leben. Ich wollte meine Achtsamkeitspraxis vertiefen, ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, in einer Community zu leben – und ich wollte auf Menschen treffen, die Ähnliches erlebt haben wie ich.

Vor eineinhalb Jahren bin ich in einem Buch von Sally Brampton auf folgendes Zitat gestoßen:

„Religion ist für Menschen, die Angst vor der Hölle haben. Spiritualität ist für Menschen, die in der Hölle waren.“

Besser könnte ich es nicht beschreiben. Denn ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich mich mal für spirituelle Themen interessiere und sogar in einem Mindfulness Camp in Thailand landen werde. Aber ich hätte mir auch nie vorstellen können, dass ich mal so den Boden unter den Füßen verliere, dass ich an einer Depression erkranken werde.

Und so eine Erfahrung verändert dich. Sie verändert alles, woran du geglaubt hast und wonach du dein Leben ausgerichtet hast. Und in gewisse Weise macht sie aus dir einen anderen Menschen. Das Problem ist oft nur, dass unser Umfeld diese Erfahrung nicht teilen kann und das gleiche bleibt – es sei denn, wir ändern es. Und da war diese Sehnsucht in mir, Menschen zu treffen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die Sehnsucht nach tiefen und intensiven Gesprächen. Der Wunsch nach Verbindung. Und dann ist mir irgendwann dieses Camp in Thailand eingefallen. Und dann kam eins zum anderen …

Die New Life Foundation

Tor zur New Life Foundation

Die New Life Foundation liegt in einem kleinen Dorf ganz im Norden Thailands und ist ein Mindfulness Recovery Zentrum. Wer sich unter dieser Bezeichnung nichts vorstellen kann: Es ist ein Zentrum für Menschen, die mit  Suchterkrankungen, Depressionen, Burnout und anderen Krisen kämpfen oder in der Vergangenheit damit Erfahrung gemacht haben. Es steht gleichzeitig aber auch allen offen, die mehr über Mindfulness lernen und an sich und ihrer Persönlichkeit arbeiten wollen. Achtsamkeit, Meditation, Yoga und verschiedene therapeutische Angebote sind die Methoden, mit denen hier gearbeitet wird.

Es gibt drei verschiedene Programme: Das Resident-Programm, das alle Workshops und therapeutischen Angebote enthält, das Volunteer-Programm und das Guest-Programm. Da ich mittlerweile zum Glück den Weg aus meiner Depression gefunden habe, habe ich mich für das Volunteer Programm entschieden. Hier arbeitet man vier Stunden täglich, zum Beispiel auf dem Feld oder in der Küche und kann einen Teil der Workshops besuchen.

Ankommen im neuen Tagesablauf

In den ersten Tagen war ich erst einmal ziemlich erschlagen von den vielen Eindrücken … Monatelang plant man etwas und dann ist man auf einmal an diesem Ort, der so anders ist als alles, was man zuvor erlebt hat. Und alles ist fremd: Der Tagesablauf, die Menschen, die Umgebung, das Land. Und dann müssen Vorstellung und Realität sich erstmal angleichen.

Ich glaube, am besten erhält man einen Eindruck von der New Life Foundation, wenn man den Tagesablauf beschreibt. Der Tag startet hier früh: Um 6 Uhr wird man von einem Gong geweckt, beziehungsweise von der Person, die gerade Gongdienst hat und die zwei Wohnblöcke entlangschreitet.

See auf dem Weg zur Morgenmeditation

Um 6:30 Uhr geht es dann entweder zum Yoga oder zur Morgenmeditation. Die Morgenmeditation findet in einer Halle im Wald statt, die einen kleinen Fußweg entfernt liegt. Die Yoga-Einheiten finden draußen in einer offenen Halle statt. Hier kann man den Sonnengruß beim Sonnenaufgang erleben – und Yoga unter extremen Bedingungen praktizieren: Da im Norden Thailand nämlich gerade Winter ist, ist es morgens manchmal nur 7 Grad Celsius. Da hat sich das Mitbringen der dicken Strickjacke auf jeden Fall gelohnt …

Noble Silence

Im Anschluss um 7:30 Uhr gibt es dann Frühstück, das entweder in der Dining Hall oder draußen gegessen werden kann. Das Besondere hierbei: Bis zum täglichen Morgenmeeting, das um 8:30 Uhr stattfindet, wird Noble Silence praktiziert. Hiermit ist nichts anderes gemeint, als das geschwiegen wird. Am ersten Tag war es etwas komisch: Man steht im Esssaal und weiß nicht so richtig wohin mit sich, kann aber auch niemanden fragen … Aber nach ein paar Tagen habe ich es geliebt! Den Tag ganz in Ruhe beginnen zu können. Die Stille, um den Sonnenaufgang und den Ausblick auf die Felder zu genießen. Sich ganz auf das Essen zu konzentrieren und trotzdem Menschen um sich herum zu haben – für mich hatte das tatsächlich etwas sehr meditatives. Aber ich bin auch ein Mensch, der nicht jeden Augenblick mit Worten füllen muss und mit Stille und Ruhe sehr braucht.

Sonnenaufgang über den Feldern

Um 8:30 Uhr findet dann jeden Tag das Morgenmeeting statt. Hier stellen sich neu angereiste Mitglieder der Community vor. In einer Gruppe von 50 fremden Menschen und auf Englisch kostet das erstmal etwas Überwindung … Hat dann aber doch ganz gut geklappt. Außerdem verabschieden sich die Mitglieder, die mehrere Wochen oder Monate in der Community verbracht haben und nun abreisen. Eine ziemlich emotionale Angelegenheit, wie ich schnell merke – und später auch am eigenen Leib erfahren werde … Im Anschluss wird dann der jeweilige Tagesablauf sowie allgemeine Themen in der Community besprochen. Zum Schluss folgt eine eine weitere gemeinsame Meditation.

Community-Work

Selbstversorgung so viel wie möglich ist hier das Motto

Um 9:30 Uhr geht es dann auch schon weiter mit der Community-Arbeit, bei der man in wechselnden Teams für zwei Stunden arbeitet. Mögliche Arbeitsbereiche sind zum Beispiel Feldarbeit, Küchendienst, die Tierversorgung, handwerkliche Tätigkeiten oder das Arbeiten im Recycling-Team. Das Arbeiten wird auch als „Working Meditation“ bezeichnet, denn auch das Ausführen von Tätigkeiten soll achtsam erledigt werden. Sprich man sollte vesuchen, sich ganz auf die Tätigkeit zu konzentrieren – ohne sich in Gedanken zu verlieren oder sich mit Musik oder ähnlichem abzulenken.

Das Arbeiten auf dem Feld hat mir am meisten Spaß gemacht und es war tatsächlich auch eines der Dinge, auf die ich mich vorher schon gefreut habe. Und ich habe festgestellt, dass es erstaunlich erdend sein kann, seine Hände dreckig zu machen und Kuhscheiße auf den Feldern zu verteilen. Es war außerdem eine lehrreiche Erfahrung zu sehen, wie wieviele harte Arbeit es ist, Obst und Gemüse anzubauen. Man bekommt dadurch auf jeden Fall einen andere Wertschätzung von Nahrungsmitteln – und für die Menschen, die diese Arbeit den ganzen Tag ausführen.

Freizeit & Natur

Um 12:30 Uhr gibt es dann jeden Tag Mittagessen. Pünktlichkeit ist hier übrigens oberstes Gebot, denn eine halbe Stunde später räumt der jeweilige Küchendienst auch schon wieder alles ab. Um 14 Uhr geht es dann weiter mit der zweiten Arbeitsschicht oder einem Workshop. Von 16 bis 18:30 Uhr hat man dann Freizeit und kann zu einem weiteren Yoga-Kurs gehen, mit den Katzen kuscheln, den Pool oder das Dampfbad nutzen oder einen Spaziergang am See des Dorfes machen.

Um 18:30 Uhr ist es dann Zeit für das Abendessen. Da es um diese Uhrzeit draußen schon dunkel war, fand dies in der Dining Hall statt. Bei über 50 Leuten und einem nicht isoliertem Gebäude schafft dies leider eine ziemlich laute und nicht ganz so achtsame Atmosphäre, womit ich ziemlich zu kämpfen hatte … Um 19:30 Uhr finden dann Abendworkshops oder Gruppenmeetings statt, die im Gegensatz zum restlichen Programm freiwillig sind. Und um 21:30 Uhr ist dann wieder Noble Silence, aber meistens fällt man schon vorher todmüde ins Bett.

Die zwei Hauptgebäude links und rechts sowie der Pool dazwischen
Die Awakening Hall, in der das tägliche Morgenmeeting und Yoga stattfindet

Resümee

Meine Zeit in der New Life Foundation ist schwer zu beschreiben … An jedem einzelnen Tag ist so viel mit einem und um einen herum passiert, dass man es in einem einzelnen Blogbeitrag gar nicht beschreiben kann. Mit so vielen Menschen auf engem Raum zusammenzuleben war eine tolle, aber auch anstrengende Erfahrung. Denn man hat trotz Einzelzimmer wenig Rückzugsmöglichkeiten, da alles sehr hellhörig ist. Die Zimmer sind vom Standard sehr einfach, sodass sie nicht unbedingt zum Verweilen einladen. Und der Lärmpegel ist im Essenssaal, der gleichzeitig auch Küche, Aufenthaltsraum, Tischtennis-Spielplatz und einziger Raum mit Internet ist, leider ziemlich hoch. Und ein Mindfulness Recovery Zentrum ist eben auch kein normales Yoga-Camp, in das man fährt, um sich ein bisschen zu erholen und Urlaub zu machen. Sondern ein Ort, um sich mit sich selbst und seinem Inneren zu beschäftigen – und das ist immer ein inteniver und emotionaler Prozess.

Es gab definitiv Tage, an denen mir alles zu viel war – zu viel Menschen, zu viel Regeln, zu viele Emotionen. Und zu wenig Zeit und Raum, um alles sacken zu lassen und zu verarbeiten. Aber ich nehme auch so viel mit von dieser Zeit.

Ich bin dankbar für all die neuen Erfahrungen, intensiven Begegnungen und tiefgründigen Gespräche, die ich hier geführt habe. Ich bin dankbar für die unzähligen Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge und die atemberaubende Natur. Ich bin dankbar für die ausgelassenen und verrückten Tanzworkshops. Und ich bin dankbar dafür, diese Form des Zusammenlebens und des Miteinanders kennengelernt zu haben, das auf Mitgefühl, Akzeptanz und Authentizität beruht. Ich habe hier so viele tolle Menschen kennengelernt, die ich in mein Herz geschlossen habe und die zu Freunden geworden sind.

Auch wenn es kitschig klingt: Mein Herz hat sich geöffnet. Ich war auf der Suche nach Verbindung – und die habe ich hier gefunden.

Atemberaubender Sonnenuntergang am See

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