Samstagabend 22 Uhr, Berlinale-Filmpalast. Premiere des Films „Wilde Maus“ von Josef Hader. Im Film, der in Wien spielt, geht es um den etablierten Musikkritiker Georg. Dieser verliert von einem Tag auf den anderen seinen langjährigen Job bei der Zeitung, weil er durch jüngere, kostengünstigere Redakteure ersetzt wird – und kann damit so gar nicht umgehen. Seiner jüngeren Frau Johanna, die Psychotherapeutin ist und deren Gedanken sich hauptsächlich um ihren Eisprung drehen, erzählt er davon nichts. Stattdessen sinnt er auf Rache.
Der Film dreht sich um Versagensängste und ein bürgerliches Leben, das plötzlich aus dem Ruder gerät. Aber um den Film, den ich persönlich großartig und sehr berührend fand, soll es in diesem Beitrag gar nicht gehen. Es soll um Respekt gehen. Respekt einem Regisseur, Künstler, Autoren gegenüber.
Die Aufgabe des Zuschauers
Denn kaum startet der Abspann des Films, verlässt 30 Prozent des Publikums schlagartig den Raum, als dürften sie den letzten Bus nicht verpassen.
Ja, es ist spät, ja die Journalisten müssen an ihren Schreibtisch, um die Filmkritik zu schreiben und ja, die Aftershow-Party hat schon angefangen. Aber mal im Ernst: Wenn man sich auf dem Weg zur Berlinale macht, sei es beruflich oder privat, und sich zwei Stunden lang das Regie-Debüt eines Schauspielers und Autors anschaut, ist es dann verdammt nochmal nicht unsere Pflicht, auch die letzten 5 Minuten noch sitzen zu bleiben, zu applaudieren und sich die kurze Vorstellung der Mitwirkenden und Dankesrede des Regisseurs anzuhören? Können wir wirklich nicht die paar Minuten verschmerzen, um dem künstlerisch schaffenden Menschen da vorne die Würdigung für sein Werk zu geben, die er verdient hat?
Im Kinosaal verstehe ich auch nie die Leute, die sofort nach Filmende durch die Dunkelheit nach draußen stolpern, als gäbe es da etwas umsonst. Denn ich liebe es, noch ein paar Minuten im Kinosessel sitzen zu bleiben, den Film nachwirken zu lassen und erst nach und nach mit dem Licht wieder in der Wirklichkeit anzukommen. Aber gut, im Kino kriegt es der Regisseur wenigstens nicht mit, dass, wenn das Licht angeht, niemand mehr im Kino sitzt. Aber auf einer Lesung, einer Filmpremiere, einem Theaterstück oder einer Oper ist das anders. Und da ist es verdammt nochmal die Aufgabe des Zuschauers, bis zum Schluss sitzen zu bleiben und zu applaudieren! Nämlich dafür, dass man sich die letzten zwei Stunden hat unterhalten lassen.
Schönwetter-Fans
Selbst beim Fußball findet man dieses unsoziale Verhalten: Spielt die eigene Mannschaft schlecht, wird sie nicht selten ausgebuht und einige Fans verlassen sogar nach der zweiten Halbzeit das Stadion. Was seid ihr denn bitteschön für Schönwetter-Fans, die ihre Lieblingsmannschaft nur dann unterstützen, wenn es gut läuft? Gerade wenn es schlecht läuft, solltet ihr auf eurem Hosenboden sitzen bleiben, und eure Mannschaft anfeuern und unterstützen!
Also bleibt bei der nächsten Veranstaltung doch einfach mal sitzen. Und zwar bis zum Schluss. Denn das Ende gehört genauso dazu wie der Anfang – beim Film, beim Fußball und überall im Leben.
2 Kommentare
Hallo, ich bin so ein Abspannsitzenbleiber, der schon immer von flüchtenden Zuschauern genervt ist. Aber auch von Kinos, die den Nachspann einfach abwürgen.
Ich habe vor vielen Jahren mal die Verleiher diesbezüglich angeschrieben und die historischen Dokumente online gestellt:
https://kinogucker.wordpress.com/2017/01/04/nachspaenne-im-kino-bleiben-sie-sitzen/
Viele Grüße … kinogucker
Hallo kinogucker,
danke für deinen Kommentar. Kinos, die den Nachspann abwürden hatte ich zum Glück noch nicht – eher solche, die vergessen haben, das Licht danach auch wieder anzumachen 😉
Viele Grüße