Wieso ich mir keine Vorsätze für das neue Jahr mehr mache

Anfang Februar. Ein Zeitpunkt, an dem für die meisten die ersten guten Vorsätze schon wieder gescheitert sind. Für mich nicht. Denn ich habe mir erst gar keine Vorsätze gemacht. Warum? Weil ich glaube, dass wir genau das in unserem Leben schon genug haben: Leistungsdruck und Ziele, von denen wir denken, dass wir sie unbedingt erreichen müssen, um … Ja, um was eigentlich? Erfolgreich zu sein? Mithalten zu können? Es sich selbst oder den anderen zu beweisen?

Versteh mich nicht falsch: Es ist wichtig, dass man sich Ziele im Leben setzt und toll, wenn man diese auch erreicht. Und das tut man natürlich nicht, indem man Däumchen dreht und abwartet. Aber wir sollten uns und unseren Selbst-Wert nicht vom Erreichen dieser Ziele abhängig machen.

Die altbekannte Stimme in uns …

Diesen Artikel wollte ich zum Beispiel schon vor einem Monat schreiben. Habe ich aber nicht geschafft. Weil andere Dinge Priorität hatten. Und da war diese fiese altbekannte Stimme, die mir ein schlechtes Gewissen deswegen machen wollte. Und die mir sagen wollte, dass es jetzt eh zu spät für diesen Artikel ist, also kann ich es doch gleich sein lassen … Aber diesmal habe ich der Stimme gesagt, dass sie mich mal am Allerwertesten kann. In Vietnam hat das neue Jahr nämlich erst vor ein paar Tagen begonnen. Es kommt also immer auf die Perspektive an.

Das ist wahrscheinlich mein Learning aus dem Jahr 2018: Das Dinge Zeit brauchen und man nicht auf hundert Hochzeiten gleichzeitig tanzen kann (das habe ich nämlich erfolglos versucht).

Denn ich bin ein großer Meister darin, mir zu viel vorzunehmen – und dann von den unzähligen To-Do-Listen und Aufgaben so erschlagen zu sein, dass ich gar nicht mehr weiß, womit ich überhaupt anfangen soll … Ich habe nämlich festgestellt, dass ich gar keinen Chef brauche, der mich unter Druck setzt – ich kann das auch alleine ziemlich gut … Melina vom Blog Vanilla Mind trifft es in ihrem Artikel ziemlich auf den Punkt:


„Meine größte Stressquelle? Bin ich selbst.“

Melina Royer

Multitasking extrem – so könnte man mein letztes Jahr zusammenfassen. Beispiel gefällig? Ich hatte mir für das letzte Jahr vorgenommen, unbedingt mein Romanprojekt zu beenden – und mich mit eiserner Disziplin jeden Tag an den Schreibtisch gezwungen. Dazu kamen dann irgendwann noch zwei Kurzgeschichtenbände, ein neues Romanprojekt und eine Website und natürlich wollte ich auch regelmäßig bloggen und auf Social Media aktiv sein … Und in der Freizeit? Da bin ich von Workshop zu Workshop getingelt, habe mich über verschiedene Weiterbildungen informiert, unzählige von Podcasts, Artikel und Bücher gelesen und mir natürlich auch eine Instagram-taugliche Morgenroutine zugelegt.

Und irgendwo dazwischen habe ich mich selbst verloren, genauso wie den Spaß an dem, was ich mache.

Das Verrückte: Mir war bewusst, dass ich gerade zu viele Dinge parallel mache – und konnte trotzdem nicht damit aufhören. Weil ich mich schwer von Dingen lösen kann. Und weil mich unerledigte Aufgaben stressen. Im Buch „Ihr Persönlichkeitsportrait“ von John M. Oldham und Lois B. Morris habe ich dazu eine sehr passende Metapher gefunden: Zwei Kommilitonen betreten eine Bibliothek. Der eine ist angesichts der Fülle an Büchern begeistert und denkt sich: Super – so viele Dinge, die ich noch lernen kann. Der andere ist von derselben Fülle völlig erschlagen. Weil er denkt: So viele Bücher, die ich noch nicht gelesen habe und Dinge, die ich wissen sollte – aber noch nicht weiß. (Und nun die rhetorische Frage: Zu welcher Gruppe gehöre ich wohl? Genau.)

Das letzte Jahr hat sich deshalb eigentlich so angefühlt, als wären es zehn. Eigentlich haben sich meine letzten drei Jahre so angefühlt, und manchmal ist da diese Sehnsucht, einfach mal auf die Stopp oder Pause-Taste zu drücken.

Und selbst dann wäre ich bestimmt noch eine Weile damit beschäftigt, all die Erlebnisse der letzten Jahre zu verarbeiten … Das Jahr 2018 war auf jeden Fall eine ziemliche emotionale Achterbahn. „Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt“ trifft es ganz gut. Aber es war auch ein Jahr, in dem ich unglaublich viel über mich und die Welt gelernt habe.

Was ich 2018 erlebt & gelernt habe

Ich habe eine unbeschreibliche Zeit in Vietnam verbracht und dort ein zweites Zuhause gefunden. Ich habe in einem airbnb gewohnt, dass so viel mehr war als das, und mehrere Monate in einem Co-Working-Space gearbeitet. Dort habe ich Gäste betreut, gelernt, wie man richtig guten Milchschaum macht und abkassiert in einer Währung, die so viele Nullen hat, dass einem schwindlig wird.

In meiner Freizeit habe ich das vietnamesische Leben erkundet, bin mit dem Fahrrad durch grüne Reisfelder geradelt, habe den Wind auf meinem Gesicht gespürt, war fast jeden Tag am Meer und habe zum ersten Mal in meinem Leben vor Glück geweint.

Ich habe gelernt, dass Wiederkommen schwieriger ist als Weggehen. Ich habe mich falsch im eigenen Land gefühlt und wurde mit dem Phänomen des Reverse Culture Shock beziehungsweise der Post-Travel-Depression konfrontiert, die viel netter klingen, als sie sich anfühlen. Und ich habe mich gefragt, warum darüber kein Reiseblogger schreibt: Wie schwer das Ankommen sein kann.

Ich habe Berlin oft gehasst und manchmal innig geliebt.

Ich bin so oft es ging ins Grüne gefahren und habe die Welt außerhalb des Berliners Ring kennengelernt (und mich gefragt, wieso ich das nicht schon viel früher gemacht habe).

Ich habe Brandenburg kennen und lieben gelernt und den heißen Sommer zum großen Teil in der Natur verbracht. Ich war in einem Co-Working-Space mitten auf dem Dorf, bin durch Felder und Wälder gestriffen, habe Kirschen vom Baum gepflückt und die Abende mit tollen Menschen draußen unter Sternenhimmel am Lagerfeuer verbracht.

Außerdem war ich für mehrere Wochen auf einem Bauernhof. Ich habe Ferkel gestreichelt, Kaninchen eingefangen, mich von einer Gans in den Oberschenkel beißen lassen (was ziemlich weh tat) und meine Abende statt in Bars im Ziegengehege verbracht. Ich habe bei 35 Grad Wassereimer durch die senkende Hitze geschleppt, Koppeln gebaut, stand mit den Gummistiefeln zentimetertief in Scheiße und war die meiste Zeit erschöpft, aber auch ziemlich glücklich.

Ich habe viel geschrieben und noch mehr wieder gelöscht und verworfen. Ich habe den Spaß am Schreiben und Bloggen verloren und bin gerade dabei, ihn wiederzufinden.

Ich habe gelernt, dass Meditation und Achtsamkeit nichts ist, was man irgendwann perfekt beherrscht, sondern eine (im besten Falle tägliche) Praxis ist. Aber eine, die leichter wird und mehr Früchte trägt, je öfter man sie anwendet.

Und ich habe mir die Füße im wahrsten Sinne des Wortes blutig getanzt – und es war es sowas von Wert!

Und 2019?

Nun, meine To-Do-Liste ist tatsächlich schon wieder ziemlich lang (so ganz kann man eben doch nicht aus seiner Haut). Aber es fühlt sich anders an. Weil ich verstanden habe, dass es ok ist, wenn man ich nicht alles schaffe oder umsetze, was ich mir vornehme. Was auch nicht verwunderlich ist, da mir ungefähr fünf neue Artikel- oder Projektideen pro Minute durch den Kopf schießen. Und weil ich immer mehr annehme, dass Dinge Zeit brauchen und der Körper keine Maschine ist, der rund um die Uhr Ergebnisse abliefern kann (auch wenn uns unsere Leistungsgesellschaft das gern weismachen würde).

Und ich lerne immer mehr zu anzunehmen, dass ich nicht – oder nicht mehr – zu diesen Leuten gehöre, die mit fünf Stunden Schlaf auskommen und permanent durchpowern. Oder wie Kea es im Artikel „Warum 9 to 5 im kreativen Beruf für mich nicht funktioniert“ so treffend beschreibt:

Nein, ich bin nicht „überaus belastbar“ und „bereit immer 150 % zu geben“. Mein Schaffen unterliegt inneren Jahreszeiten, blüht und welkt im einem steten Wechselspiel.

Kea von Garnier

Eine schöne Metapher wie ich finde. Denn ganz genauso geht es mir auch: Ich habe Phasen, da sprudel ich vor Energie und Kreativität und es gibt Phasen, da geht wenig bis gar nichts. Weil mein Körper und mein Geist zwischendurch einfach Zeit brauchen. Um aufzutanken. Um zu verarbeiten. Um zu sortieren.

Seit ich mich von meinen selbstauferlegten Regeln gelöst habe, was ich wie und bis wann erledigt haben muss, ist übrigens etwas Spannendes passiert: Ich habe wieder richtig Lust bekommen, Dinge zu machen! Zu Bloggen, zu Schreiben, mich in neue Tools und Social-Media Themen einzuarbeiten … Warum? Weil ich es mache, weil ich es will – und nicht, weil ich muss. Weil das doch so in meinem Redaktionsplan steht, weil ich mir vorgenommen habe so oder so viele Artikel oder Wörter pro Woche abzuliefern.

Machst du dir nun gar keine Pläne mehr für die Zukunft?

Doch. Aber ich versuche mir bei der Umsetzung dieser Pläne selbst nicht mehr so viel Druck zu machen. Langfristiger zu planen und zu akzeptieren, dass es (ähnlich wie bei einem Hausbau) wahrscheinlich länger dauern wird, als geplant. Und sich bewusst zu machen, dass immer wieder dieses Ding names Leben dazwischen kommt. Wovon ich mich außerdem lösen will: Mich und mein Arbeitspensum mit anderen zu vergleichen. Hilft einem nämlich in den seltensten Fällen. Zum Glück gibt es mittlerweile auch immer mehr Menschen, die darüber schreiben, dass sich etwas ändern muss in unserer Leistungsgesellschaft.

Wünschen würde ich mir allerdings – so ganz gesamtgesellschaftlich betrachtet – dass wir als Individuen nicht wählen müssten zwischen mental gesund und einem okayen Kontostand.

Jenni Hauwehde

Jenni vom Blog Mehr als Grünzeug hat zu diesem Thema nämlich einen ganz wunderbaren Artikel geschrieben, den ich sehr empfehlen kann. In diesem beschreibt sie, wieso sie nicht mehr in einem 40-Stunden-Job arbeiten will (und kann) und setzt sich außerdem mit Themen wie Burnout, Bedingungsloses Grundeinkommen oder dem Typus „People Pleaser“ auseinander.

Wenn ich also so etwas wie einen Vorsatz für 2019 habe, dann ist es der: Mehr auf meine Bedürfnisse zu achten. Dinge, die mir gut tun, regelmäßig zu machen. In meinem Fall: Meditieren, Laufen, Tanzen – und mir Zeit für mich nehmen. Und ja, natürlich auch meine Ziele und Pläne zu verfolgen. Aber nicht mehr um jeden Preis.

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